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24.08.2020

WIFO-Studie zur Pflegevorsorge ortet Koordinierungsdefizit

WIFO-Studie zur Pflegevorsorge ortet Koordinierungsdefizit

Eine neue Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts zeigte, dass es Nachholbedarf bei der Koordination zwischen Bund, Ländern und Gemeinden bei der Pflegevorsorge gibt. Expertinnen und Experten raten zu regionalen Pflegeinformationsstellen für Beratung und Prävention. Der Ausbau stationärer Dienste bleibt unerlässlich.

2050 wird es in Österreichs Gemeinden zwei bis drei Mal so viele Über-85-Jährige geben als heute. Dieser demographische und gesellschaftliche Wandel wird erhebliche Effekte auf die Pflegevorsorge in den Gemeinden haben. Absehbare Folge dieser Entwicklungen: Die Nachfrage nach Pflegedienstleistungen wird enorm zunehmen. Die Gesamtausgaben für Pflege- und Betreuungsdienste werden den Projektionen zufolge bis 2030 um 77 Prozent steigen.

Die damit verbundenen Herausforderungen werden vor allem auch auf kommunaler Ebene spürbar werden. Vor diesem Hintergrund hat das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) im Auftrag des größten privaten Pflegeheimbetreibers SeneCura und in Kooperation mit dem Österreichischen Gemeindebund in einer breit angelegten Studie die Bedürfnisse, Anliegen und Herausforderungen der Pflegeversorgung in den Gemeinden erhoben, analysiert und daraus Empfehlungen abgeleitet.

Defizite bei Einbindung der Gemeinden: Wunsch nach systematischer Information und Koordination

Die Befragung, an der 649 Gemeinden teilgenommen haben, hat ergeben, dass aus Sicht der Gemeinden Nachholbedarf bei der Koordination der Pflege besteht. Gemeinden sind oft genug die ersten Ansprechpartner, wenn ein Pflegefall auftritt. Sie müssen Bewohnerinnen und Bewohnern der Gemeinde kompetente wohnortnahe Information und Beratung bieten können. Gemeindevertreterinnen und -vertreter orten aber bei ihrer Einbindung in die Pflege-Organisation und Finanzierung ein großes Defizit. Als Lösung findet vor allem die Etablierung von regionalen Pflegeinformationsstellen über alle Bundesländer hinweg großen Zuspruch. Diese würden einerseits eine Anlaufstelle zur umfassenden Beratung und Information rund um das Thema Altern und Pflege bieten und könnten andererseits auch die Entwicklung des regionalen Pflegebedarfs verfolgen und besser prognostizieren. Dieser Forderung schließt sich auch der Österreichische Gemeindebund an.

Zum Start des Reformdialogs: Gemeinden fordern wohnortnahe Beratung in Pflegefragen

Die Analyse des WIFO aufgreifend, bekräftigt Gemeindebund-Präsident Bürgermeister Alfred Riedl bei der Studienpräsentation: „Pflege muss da passieren, wo man wohnt! Zwischen 75 Prozent unserer Gemeinden in Tirol und 94 Prozent in Salzburg sehen die Herausforderung, dass pflegebedürftige Menschen pflegerische bzw. ärztliche Leistungen wohnortnahe in Anspruch nehmen können, als wichtig an. Wir müssen uns daher auf die wohnortnahe Organisation der Pflege fokussieren und dafür ist eine systematische Herangehensweise bei Information und Planung unerlässlich. Denn die Informations- und Beratungsaufgabe kann auch nicht – wie jetzt häufig der Fall – auf die Gemeinden abgewälzt werden“, bestätigt der Gemeindebund-Präsident. Die Forderung nach einer wohnortnahen Beratung findet sich auch im aktuellen Regierungsprogramm und soll im Zuge der bevorstehenden Reform realisiert werden.

Regionale Unterschiede bei den Strategien zum Ausbau des Pflegesystems

Da Pflegedienstleistungen in Österreich auf Länderebene organisiert werden, wird die Situation in den verschiedenen Regionen auch sehr unterschiedlich wahrgenommen. Bei der aktuellen Pflegeinfrastruktur weisen mobile Dienste und die 24-Stunden-Betreuung eine flächendeckende Verbreitung auf. Stationäre Einrichtungen sind in Westösterreich und der Steiermark häufiger vorzufinden. Beim Ausbau der Pflegeangebote setzen die Gemeinden mit regionalen Unterschieden auf alle Arten von Pflegedienstleistungen mit Schwerpunkt auf dem Ausbau von betreutem oder betreubarem Wohnen und mobilen Diensten.

Die Befragungsergebnisse zeigen auch, dass die Kooperation zwischen mobilen und stationären bzw. teilstationären Pflegeeinrichtungen durchwegs hoch ist, jedoch nach Ansicht der Gemeinden noch weiter ausgebaut werden sollte.

Finanzierung und ausreichend Pflegepersonal sind zentrale Herausforderungen im Bereich Pflege

Eine wesentliche Herausforderung für die Pflegevorsorge in Österreich ist laut WIFO die äußerst komplexe Finanzierungsstruktur mit hoher Verflechtung zwischen den Gebietskörperschaften. „Finanzierungs- und Aufgabenverantwortung sind zwischen unterschiedlichen Gebietskörperschaften verteilt – zumeist ohne gemeinsame Steuerung, sodass es zu Fehlanreizen und Ineffizienzen kommt. Während die Auszahlung des Pflegegelds in die Kompetenz des Bundes fällt, werden Pflege-dienstleistungen vorwiegend von Ländern und Gemeinden finanziert“, erläutert der WIFO-Leiter Christoph Badelt.

Gemeindebund liefert Reformpapier zur Pflege

„Aus Befragungen aber auch aus der Praxis wissen wir, dass der finanzielle Druck auf die Gemeinden immer größer wird, nicht nur durch die Corona-Krise. Seit Jahren steigen etwa schon die Ausgaben der Gemeinden für Pflege immer weiter. Im Zuge der anstehenden Reform brauchen wir endlich Klarheit über die langfristige Finanzierung des Pflegesystems“, so Gemeindebund-Präsident Bürgermeister Alfred Riedl.

Der Österreichische Gemeindebund wird sich mit einem Reformpapier zur Pflege in die Debatten der nächsten Wochen und Monate einbringen. In der WIFO Befragung geben alle Bundesländer und Gemeindegrößen durchwegs an, dass die Finanzierung des Pflegesystems als die größte Herausforderung betrachtet wird.

– Redaktion

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