Zeitpolster

Best-practice

Pflege

01.10.2020

Zeitpolster: Alternatives Pflegemodell für Gemeinden

Eines der brennendsten Themen der Zukunft ist die Betreuung älterer Personen: Laut einer Umfrage unter Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern ist die Pflege für die Gemeinden eine große Herausforderung. Mehr als zwei Drittel der Befragten geben an, dass die kommunalen Bedürfnisse beim Thema Pflege und Betreuung derzeit nicht ausreichend berücksichtigt werden. Alternativen zum aktuellen Pflegesystem werden heiß gesucht. Eine solche bietet der Vorarlberger Verein Zeitpolster.

Verein als Ergänzung zu bestehenden Betreuungseinrichtungen

Betreuungsleistungen können vielfältig sein: Ob Hilfe im Haushalt oder im Garten – das Modell Zeitpolster verbindet Bedarf mit Angebot. Die Freiwilligen können die geleistete Zeit später für sich selbst beanspruchen. ©Zeitpolster

Der Verein Zeitpolster wurde 2018 in Vorarlberg als Alternative zu herkömmlichen Modellen der Altersbetreuung gegründet. Die Initiative steckte noch in ihren Kinderschuhen, als sie 2018 im Rahmen der Kommunalen Sommergespräche vorgestellt wurde und damals bereits großen Anklang fand.

Inzwischen liegen die Anfangstage von Zeitpolster über zwei Jahre zurück und die Organisation besteht mittlerweile aus einem breiten Netzwerk mit insgesamt 250 Helfenden und Teams in fünf Bundes­ländern – aktiv in Vorarlberg, Salzburg, der Steiermark, Niederösterreich und in Wien.

Modell: Gutstunden statt Geld

Anders als herkömmliche Betreuungssysteme läuft Zeitpolster über ein Gutstunden-System: Die freiwilligen Helfer erhalten für ihren Betreuungseinsatz kein Geld, sondern Stunden gutgeschrieben. Diese werden über die Organisation erfasst und können später bei eigenem Bedarf eingelöst werden. All jene, die selbst noch keine Stunden angespart haben, entlohnen die Betreuung mit acht Euro pro Stunde. Davon ist ein Teil für die Verwaltung bestimmt. Ein weiterer Teil fließt in Versicherungen und ein Notfallkonto: Sollten später eines Tages zu wenige Freiwillige aktiv sein, können auf diese Weise Betreuungsleistungen zugekauft werden.

Betreuungsleistungen reichen von Einkäufen, Fahrtendiensten, Unterstützung bei der Hausarbeit oder im Garten bis hin zu gemeinsamen Ausflügen oder einfach gemeinsame Zeit spenden und die pflegenden Angehörigen einen Nachmittag entlasten.

Corona zeigte erhöhten Bedarf an Betreuung

Das Modell Zeitpolster erlebt zudem seit Kurzem einen deutlichen Aufschwung: Die Coronakrise hat den Bedarf nach Unterstützungsleistungen im Alltag verstärkt. Gerade ältere oder alleinstehende Menschen werden schnell Opfer von Einsamkeit. Hilfe wird dringend benötigt. Weil viele der Freiwilligen selbst zur Risikogruppe gehörten, startete Zeitpolster einen Aufruf, woraufhin sich viele neue Freiwillige meldeten. Eine ältere Dame erzählt, wie sie durch Zeitpolster „eine neue Tochter“ gewonnen hat.

Besonders in Corona-Zeiten leiden viele Personen unter der sozialen Isolation. Oftmals kann ein gemeinsamer Nachmittag bei Kaffee und Kuchen Wunder bewirken. Viele ältere Personen wünschen sich nur jemanden zum Zuhören. ©Zeitpolster

In vielen Gemeinden entstanden neue Ehrenamtsbörsen. Die Plattform Zeitpolster konnte neu gebildete Netzwerke unterstützen, und rasche Hilfe vermitteln. Um die Dienste zu verbessern, bietet Zeitpolster nun eine Partnerschaft für alle Gemeinden und Sozialsprengel.

Zeitpolster in der eigenen Gemeinde implementieren

Um Zeitpolster in die Gemeinde zu bringen, kann das System in bereits bestehende Strukturen integriert werden. Kann, muss aber nicht: Freiwillige bilden in ihrer jeweiligen Gemeinde oder Kleinregion organisatorische Teams. Das Grundteam, bestehend aus einer Handvoll Personen, erhält vom Verein die komplette organisatorische Ausstattung und wird voll eingeschult.

Die Aufgabe des Teams ist es, vor Ort ein Betreuungs- und Vorsorgenetz zu organisieren. Während das Team laufend gecoacht und unterstützt wird, sollen für die Gemeinde letzten Endes keine Kosten entstehen. Die Teammitglieder vor Ort bekommen zusätzlich pro Monat sechs Stunden an Zeit gutgeschrieben.

Damit das Netzwerk vor Ort wirklich effizient abläuft, braucht es ein weitreichendes Netz von Freiwilligen. Für kleine Gemeinden ist es daher empfehlenswert, sich mit anderen Kommunen in der Region zusammenzuschließen.

Hard geht als Beispiel voran

Die Gemeinde Hard in Vorarlberg zeigt, wie die Implementierung von Zeitpolster in die eigene Gemeinde funktionieren kann. Die Geschäftsführung des Sozialsprengels, Frau Cornelia Reibnegger, integrierte das Zeitpolsterteam direkt in die eigenen Strukturen. „Das Projekt Zeitpolster ist eine tolle Ergänzung zu unseren bestehenden Betreuungsangeboten“, ist Reibnegger überzeugt. „Dadurch ermöglichen wir es den Menschen, dass sie länger daheim bleiben können“, erzählt sie weiter.

Die engagierte Gruppe in Hard besteht aus fünf Personen. Sie übernehmen die gesamte Organisation und koordinieren die Vermittlung. So werden Angebot und Nachfrage direkt vor Ort verbunden und es kann rasch die passende Betreuungsperson für die jeweilige Anfrage bereitgestellt werden.

Wer betreut in Zukunft wen?

Der Gründer von Zeitpolster, Gernot Jochum-Müller, ist davon überzeugt, dass die Plattform ein wichtiges Zukunftsthema aufgreift. „Es wird in den nächsten Jahren einen immensen Bedarf geben“, sagt Jochum-Müller mit Hinblick auf den demografischen Wandel. „Österreichweit fehlen in der Pflege und Betreuung bis 2030 an die 35.000 Fachkräfte.“ In Österreich werden zudem 80 Prozent der Betreuung und Pflege traditionell durch Angehörige geleistet. Diese sind oft überlastet und wissen wenig über die bestehenden Hilfsangebote Bescheid.

„Wir sehen in den nächsten Jahren einen immensen Bedarf an Betreuungsleistungen.“

Zeitvorsorge-Modelle wie Zeitpolster bieten ein kostengünstiges und leistungsfähiges Modell, um dem Bedarf zu begegnen. Ganz nebenbei schaffen sie eine Verbindung zwischen Generationen und Menschen unterschiedlicher Hintergründe.

-E. SCHUBERT (Quelle: Zeitpolster)

© Copyright - Kommunalnet