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Europa

Umwelt

16.12.2020

Wie grün wird Europa?

Der grüne Deal von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat ambitionierte Ziele. Vieles würde große Veränderungen verlangen. Veränderungen, bei denen viele Lobbys mitsprechen. Und es sind Veränderungen, die am besten über die Brieftasche gesteuert werden.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat in ihrer Rede zur Lage der Union die Erhöhung der EU-Klimaambitionen angekündigt. Dieser Ankündigung folgten Mitte September eine Mitteilung mit Folgenabschätzung sowie die Revision des zur Debatte stehenden Klimagesetzes mit dem Ziel, bis 2030 mindestens 55 Prozent der CO2-Emissionen einzusparen.

Das Pariser Klimaziel wird ernst genommen und das Anfahren der Wirtschaft nach der Krise soll für einen grünen Auf- und Umschwung genutzt werden. Österreich hat im aktuellen Regierungsprogramm übrigens einen ähnlich ambitionierten Weg vorgegeben, das heißt, eigentlich sollten wir das innerstaatlich schon schaffen.

Eingriff in Rechte

Aber es müssen – bei allem Verständnis für die Notwendigkeit, möglichst rasch zu handeln – doch beide Seiten der Medaille betrachtet werden. Was für gut situierte Menschen einleuchtend klingt und mit Tesla, Elektrofahrrad, südseitiger Photovoltaikanlage und regional produziertem Gemüsekorb vom Biomarkt tatkräftig unterstützt wird, ist für viele andere ein gravierender Eingriff in vermeintlich oder tatsächlich wohlerworbene Rechte.

Die Vorschläge der EU-Kommission stellen grosso modo darauf ab, fossile Brennstoffe zu verteuern, erneuerbare Energien auszubauen, die Energieeffizienz zu steigern und Kohlenstoffsenken zu schützen. Wenn man bedenkt, wie stark der aktuelle „European Way of Life“ von fossilen Energieträgern abhängt und wie sehr sich die Abhängigkeit vom Auto in den letzten Jahren verstärkt hat, ist der Glaube an einen friktionsfreien Übergang wohl illusorisch. Man erinnere sich nur an die geplante Erhöhung der Mineralölsteuer als Ausgangspunkt der Gelbwestenproteste in Frankreich.

Grüne Investitionen als Ausweg aus der Krise.

Insofern sind die Vorschläge der EU-Kommission, wie bis 2030 55 Prozent der Treibhausgasemissionen (im Vergleich zu 1990) einzusparen sind, vor allem auch unter gesamtgesellschaftlich-sozialen Gesichtspunkten zu betrachten.

Die Covid-19-Krise hat bereits tiefe Löcher in viele Volkswirtschaften gerissen, und von den in Österreich gewährten Beihilfen können Unternehmen in anderen Ländern nur träumen. Eine der zentralen Fragen ist also, wie der nun propagierte und mit dem neuen Aufbaufonds NextGenerationEU unterstützte Umbau der europäischen Wirtschaft gelingen kann. Mindestens 30 Prozent der knapp 1800 Milliarden Euro aus mehrjährigem Finanzrahmen und Aufbaufonds sollen ja in „grüne“ Investitionen und Projekte fließen.

Die Kommission verfolgt durchaus einen holistischen Ansatz und hat neben dem Klima­gesetz eine Biodiversitätsstrategie oder die Stra­tegie „Vom Hof auf den Tisch“ zur Regionalisierung der landwirtschaftlichen Vertriebswege vorge­legt. Für nächstes Jahr sind die Anpassung des Emissionshandels, die Revision der Energierichtlinien und Vorschläge im Verkehrsbereich zu erwarten. Es steht also außer Zweifel, dass nur ein sektorenübergreifendes Vorgehen den Grünen Deal zum Erfolg bringt und die Industrie einen großen Beitrag leisten muss.

Nationale Verantwortung

Das Fragezeichen aber bleibt. Denn auch in Brüssel propagieren einflussreiche Lobbys die Fortführung des Status quo, mit einem grünen Mascherl hier und da. Viel wird daher von den 27 EU-Staaten selbst abhängen. Wenn sich Regionen mithilfe innerstaatlicher Förderungen neu erfinden, umweltfreundliches Verhalten belohnt wird und die Steuersysteme umgebaut werden, sodass Erwerbstätige und Konsumenten nicht auf der Strecke bleiben, kann der Deal vielleicht gelingen. Der große Paradig­men­wechsel muss jedenfalls „zu Hause“, und zwar von allen 27, mitgetragen werden.

Als ob diese Herausforderung nicht schon groß genug wäre, zeigt selbst ein Blick auf die Gemeinden, wie viele Fragen noch zu klären sind: So würden die derzeitigen Vorschläge der EU-Kommission die Gemeinden zu einem Spagat zwingen, der wohl nur wenigen gelingen wird.

Denn einerseits unterliegen Gemeinden den Auflagen des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Dieser wird in Österreich so streng umgesetzt, dass grünes Licht für Investitionsprojekte hohen Anforderungen seitens der Gemeindeaufsicht unterliegt. Andererseits zielt die von der EU beworbene Renovierungswelle auf den öffentlichen Gebäudebestand, auf Krankenhäuser, sozialen Wohnbau, Schulen und Kindergärten ab.

EU-Förderungen werden nur einen Bruchteil der nötigen Investitionssummen abdecken

Und hier wären wir beim Spagat, denn EU-Förderungen oder Darlehen werden nur einen Bruchteil der nötigen Investitionssummen abdecken (können). D.h., letztlich spielt auch die Fiskalpolitik eine nicht unbedeutende Rolle bei der Umsetzung des Grünen Deals.

Im Zusammenhang mit der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ sind Gemeinden als öffent­liche Auftraggeber bei der Versorgung von Schulkantinen, Pflegeheimen etc. betroffen und können bei den Vergabeverfahren die Berücksichtigung grüner und sozialer Kriterien üben.

Auswirkungen auf Raumordnung und -planung

Die Idee, Senken als CO2-Speicher zu schützen, sowie einige Vorschläge der Biodiversitätsstrategie wirken sich auf Raumordnung und Raumplanung aus. Ob sich der „European Way of Life“ wieder den Ortszentren zuwendet und auch am Land mit dem Fahrrad zelebriert werden kann, wird die Zukunft weisen. Denn dies hängt nicht allein vom Bau von Radwegen ab, sondern von verkehrspolitischen Entscheidungen und Investitionen, die nicht nur in Brüssel besonders anfällig für Lobbying sind.

Die Gemeinden sind nur ein kleiner Akteur in diesem Spiel. Ihnen wird viel an Umsetzungsverantwortung übertragen und wahrscheinlich auch der Schwarze Peter zugeschoben werden.

Viele Gemeinden in Österreich zählen seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, zu Vorreitern beim Klimaschutz, zahlreiche individuelle Projekte zeigen das große Potenzial lokaler Aktionen. Aber man muss auch ehrlich sein und feststellen, dass die wirklich großen Veränderungen nur über die Brieftasche gesteuert werden. Der Grüne Deal wird also maßgeblich von der Weiterentwicklung des Emissionshandels bzw. einheitlichen Vorgaben zur Energiebesteuerung abhängen.

– D.FRAISS

 

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