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Europa

30.08.2021

Nachhaltiger Tourismus im Binnenmarkt – Wo liegen die Grenzen?

Nein, es geht hier nicht um Landesgrenzen. Es geht darum, ob ein europäisches Bekenntnis zum nachhaltigen Tourismus dem Binnenmarkt standhalten kann. Denn die EU besitzt in der Tourismuspolitik nur eine ergänzende Zuständigkeit.

Die Zuständigkeit der EU in der Tourismuspolitik erstreckt sich auf die Veröffentlichung wohlmeinender Mitteilungen, die Ausschreibung von Preisen oder Pilotprojekte. Die großen Herausforderungen vor Ort werden jedoch unter Wettbewerbs- und Binnenmarktkriterien beurteilt, Nachhaltigkeit spielt dann nur noch eine untergeordnete Rolle.

Wunsch …

Anfang der Zweitausenderjahre wurde von der EU-Kommission eine Expertengruppe eingerichtet, die sich mit der Zukunft des nachhaltigen Tourismus auseinandersetzen sollte. Bereits damals warnten Vertreter unter anderem aus Mallorca davor, die an der spanischen Küste beobachtbaren Fehler anderswo zu wiederholen und ganze Gebiete zuzubetonieren. Dies vor allem mit dem Hinweis, dass Qualitätstourismus danach für immer unmöglich sei.

Die greifbaren Ergebnisse dieser Expertengruppe sind enden wollend, auch wenn es interessante Diskussionen über Zweitwohnsitze, Saisonalität oder Diversifizierung und am Ende eine Mitteilung samt Empfehlungen an Mitgliedstaaten und Tourismuswirtschaft gab. Immerhin wird seit 2007 der EDEN-Preis vergeben, der nachhaltige Reiseziele prämiert und Lust auf Tourismus jenseits des Mainstreams machen soll.

Die Diskussionen fanden wohlgemerkt vor der Wirtschaftskrise und vor dem Aufkommen von Airbnb und Co statt.

… und Wirklichkeit

In Wahrheit hat sich die Diskussion über nachhaltigen Tourismus angesichts der Zahlen, die kürzlich von Eurostat veröffentlicht wurden, aber erübrigt. Seit 2020 stellen die vier großen Reiseplattformen Airbnb, Booking, Expedia und Tripadvisor der Kommis­sion Nächtigungsdaten zur Verfügung. Dabei handelt es sich um nicht personenbezogene, allgemeine Daten, Rückschlüsse auf Vermieter und Gäste können daraus nicht abgeleitet werden.

Sehr wohl kann man daraus aber schließen und wohl auch beweisen, dass die Plattformwirtschaft den Bauboom der letzten Jahre erst richtig befeuert hat. Was vor nicht allzu langer Zeit noch Haustausch auf Gegenseitigkeit und Vertrauensbasis oder geteiltes Eigentum am Feriendomizil war, sind jetzt Anlegerobjekte am Meer, in den Bergen und in Innenstädten. 550 Millionen über diese vier Plattformen gebuchten Nächtigungen im Jahr 2019 sprechen für sich.

Gemeinwohl und Nachhaltigkeit brauchen regionale Lösungen

Wobei es durchaus nationale und regionale Regelungsspielräume gibt. In Andalusien wurden 2019 über 25 Millionen Plattformnächtigungen verzeichnet, fast jeder Küstenort kommt auf eine Million ­Nächtigungen und mehr. Im sehr restriktiven spanischen Baskenland, das klare Regeln für Kurzzeitvermietungen festlegt und diese auch streng kontrolliert, gibt es in der gesamten Region nur 1,8 Millionen Plattformnächtigungen.

Auch bei den Städten zeigt sich Erstaunliches. Der Großraum Paris mit 9,7 Millionen Einwohnern kam 2019 auf über 15 Millionen Plattformnächtigungen, die meisten davon in den gefragten Innenstadtbezirken.

In Frankreich hat man mittlerweile mit einer Novelle des Bau- und Wohngesetzbuches reagiert, Wohnraumnutzung für Kurzzeitvermietung muss vorab von der Gemeinde genehmigt werden. Vermietern, die dies umgehen, drohen Geldstrafen, Rückwandlungsbescheide und Tagespönalen, die direkt ins Gemeindebudget fließen.

Die Crux bei all dem ist, und hier wären wir wieder bei der Expertengruppe zum nachhaltigen Tourismus, dass Gemeinden nicht tun und lassen können, was sie wollen. Auch nicht im Hinblick auf die Nachhaltigkeit.

Denn im Falle Frankreichs wurde die Regelungskompetenz der Gemeinden als Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit bemängelt – erst der EuGH stellte klar, dass derartige, auf nationalem Recht basierende Eingriffe im Sinne des Allgemeinwohls gerechtfertigt sind. Das heißt, selbst wenn die EU-Kommission Überlegungen für mehr Nachhaltigkeit durchaus unterstützt, gilt doch zuerst die Prämisse von Binnenmarkt und Wettbewerb.

Eurostat liefert riesiges Datenkonvolut

Gemeinden, die dem Zweitwohnsitzboom zum Wohle der örtlichen Bevölkerung Einhalt gebieten wollen, müssen dies in nicht diskriminierender Weise und gut begründet tun. Am besten gestützt auf ein entsprechendes Bundes- oder Landesgesetz.

Ein Blick auf die österreichische Statistik zeigt: Genau jene Bezirke, die seit einiger Zeit medial im Fokus stehen, zählen auch zu den Spitzenreitern bei Plattformnächtigungen – Pinzgau-Pongau mit 2,6 Millionen Nächtigungen im Jahr 2019, das Tiroler Unter- und Oberland mit 1,8 bzw. 1,4 Millionen Plattformnächtigungen. Aber auch der Bezirk Liezen ist mit knapp 500.000 Nächtigungen gut vertreten, ebenso wie Oberkärnten mit über 600.000 Nächtigungen außerhalb der klassischen Hotellerie.

Wien führt mit 5,4 Millionen Nächtigungen, befindet sich aber gemeinsam mit anderen europäischen Städten in einer Allianz, die sich bei EU-Kommission und Europäischem Gesetzgeber mit konkreten Verbesserungsvorschlägen für die Regulierung von Kurzzeitvermietungen einsetzt. Dabei geht es nicht nur um Tourismusabgaben, es geht vor allem um die Nutzung und Leistbarkeit von Wohnraum und soziale Gerechtigkeit.

Wie sich die Corona-Krise auf die Zukunft der Kurzzeitvermietungen auswirken wird, bleibt abzuwarten, für 2020 liegen noch keine Zahlen vor. In Griechenland wird jedenfalls der Immobilienmarkt mit Ferienhäusern geflutet, weil die Rückzahlung der Kredite ohne Gäste unmöglich wird – vom Anlegerobjekt zum Absacker also.

Belebung der lokalen Wirtschaft durch Zweitwohnsitzer?

Zu guter Letzt soll aber auch darauf hingewiesen werden, dass es in der Gruppe nachhaltiger Tourismus auch Befürworter von Zweitwohnsitzen gab. Diese kamen durchwegs aus sehr ländlichen, touristisch wenig erschlossenen Gegenden, wo Zweitwohnsitzer zur Belebung der lokalen Wirtschaft beitragen und Häuser bewohnen bzw. revitalisieren, die sonst dem Verfall preisgegeben wären. Und dank der Buchungsplattformen finden Besucher auch in Gegenden ohne Hotel oder Campingplatz eine Unterkunft. Es gibt also, wie so oft, auch hier zwei Seiten einer Medaille.

Statistiken zu den Plattform-Buchungen

Eurostat, das statistische Amt der Europäischen Union, hat Ende Juni 2021 erste wichtige Daten zu Kurzaufenthalten veröffentlicht, die über vier private Plattformen im Tourismussektor gebucht wurden. Die Veröffentlichung ist das Ergebnis einer wegweisenden Vereinbarung vom März 2020 zwischen der Kommission sowie Airbnb, Booking, Expedia Group und Tripadvisor, mit der die Zusammenarbeit zwischen diesen Plattformen und Eurostat eingeleitet wurde.

Mehr auf den Seiten der Kommission und von Eurostat.

-D.FRAISS

Über die Autorin

Daniela Fraiss ist Leiterin des Brüsseler Büros des Österreichischen Gemeindebunde.

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