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Sicherheit

15.03.2022

Atomunfall – und dann?

Viele Menschen sind durch die Berichterstattung über die Kriegshandlungen in der Nähe von ukrainischen Atomkraftwerken verunsichert. Grundsätzlich zu Recht, galt doch bisher das ungeschriebene Gesetz, dass sich in der Nähe solcher Anlagen keine bewaffneten Kräfte aufhalten dürfen. Nun kam es sogar zu einzelnen Kampfhandlungen in unmittelbarer Nähe solcher Anlagen. Wichtige Systeme sind auch noch zusätzlich geschützt und es hat wohl keine der beiden Konfliktparteien ein Interesse daran, einen Atomunfall auszulösen, da infolgedessen beide Länder unmittelbar betroffen wären.
Dennoch sollten wir uns fragen, ob wir generell auf einen nie völlig auszuschließenden nuklearen Zwischenfall vorbereitet wären. Wie immer gilt in der Krisenvorsorge die Hoffnung, dass wir hoffentlich dieses Wissen nie praktisch anwenden müssen. Nur den Kopf in den Sand zu stecken, hat aber noch nie funktioniert und nur zu unnötigen Schäden geführt. Siehe etwa Lawinen-, Hochwässer- oder andere Extremereignisse.

Blick nach vorne richten

Daher sollten wir uns auch mit den möglichen Konsequenzen eines Atomunfalls beschäftigen und alte Pläne auf Aktualität und Tauglichkeit überprüfen. So wie wir das vor über 2 Jahren vor der sich ankündigenden Pandemie tun hätten sollen. Wir wären dann nicht völlig unvorbereitet überrascht worden, auch wenn wir es dann doch wieder recht gut meistern konnten. Profis arbeiten anders.

Bei einem Atomunfall in der Ukraine würde die größte Gefahr auch nicht vom Primärereignis ausgehen, dazu sind wir zum Glück weit genug entfernt. Die Gefährdung nach Tschernobyl ist bei uns erst deswegen entstanden, da durch die Wetterlage große Mengen Staubpartikel mit kurzwelligen Strahlern zu uns verfrachtet wurden. Werden diese eingeatmet oder mitgegessen, verbleiben diese im Körper und können dort Schäden verursachen.

Daher ist unsere mögliche eigene Überreaktion viel gefährlicher. Viele Menschen haben bei diesem Thema eine übertriebe-ne Angst, die zu falschen Reaktionen und Handlungen führen kann. Etwa, wenn sich viele Menschen nicht mehr außer Haus trauen oder einfach die Arbeit liegen und stehen lassen würden. Dann könnte das zu schwerwiegenden Problemen in unse-rer Versorgungslogistik führen, ähnlich, wie nach einem möglichen Blackout.

Die potenzielle Strahlengefahr soll nicht heruntergespielt werden. Dennoch gibt es weit mehr realistische und gefährlichere Szenarien, auf die wir uns häufig auch nur unzureichend vorbereitet haben. Eine Auseinandersetzung und Vorbereitung im Vorfeld, insbesondere, wenn es bereits Warnhinweise gibt, schafft eine verbesserte Handlungskompetenz. Wie fatal das an-sonsten enden kann, hat uns letzten Sommer die Flutkatastrophe im deutschen Ahrtal gezeigt. Wer sich im Vorfeld mit etwas Möglichem beschäftigt („antizipiert“), wird im Anlassfall nicht völlig unvorbereitet überrascht und von möglichen übertriebenen Ängsten getrieben, falsch reagieren und kopflos handeln.

Das gilt nicht nur für die Bevölkerung, sondern auch für Entscheidungsträger und Hilfsorganisationen. Dazu braucht es meist nicht viel: Einfach die einzelnen Szenarien durchgehen und überlegen, wie man darauf reagieren könnte und welche Handlungsabläufe dazu erforderlich sind. Damit entstehen auch alternative Handlungsmöglichkeiten. Wichtig ist, die Dinge auch immer zu Ende zu denken, um hoffentlich mögliche verdeckte oder verzögerte Nebenwirkungen rechtzeitig erkennen zu können. Daher ist auch kurzsichtiger Aktionismus so gefährlich: Die Nebenwirkungen treten erst verspätet auf und sorgen meist für einen größeren Schaden.

Zum Thema Strahlenschutz bieten das Klimaschutzministerium (https://www.bmk.gv.at/themen/klima_umwelt/strahlenschutz/notfall/faq.html) sowie die Zivilschutzverbände (www.zivilschutzverband.at) aktuelle und konkrete Informationen an, die auch von den Gemeinden abgerufen und aktiv über die eigenen Kanäle kommuniziert werden sollen. Sprechen Sie dieses Thema in Ihren Kanälen (Gemeindezeitung, Homepage etc.) an. Es gibt ein großes Informationsbedürfnis. Wird dieses nicht durch offizielle Kanäle befriedigt, finden sich andere Quellen, die auch andere Zwecke verfolgen oder unseriös arbeiten können.

Stets für „Camping-Urlaub“ bereit

Im wesentlich gilt die gleiche Vorsorge wie für das Szenario Blackout: Sich mindestens 14 Tage selbst zu Hause versorgen können. Dann muss man nicht nach draußen, sollte es wirklich notwendig werden, in geschlossenen Räumen bleiben zu müssen. Zusätzliche Hilfsmittel wie Müllsäcke, Folien und Klebebänder, um allenfalls gewisse Bereiche abdichten zu können, sollten ebenfalls bereitgehalten werden. Das ist nur dann erforderlich, wenn wirklich zeitverzögert eine Partikelwolke zu uns gelangen sollte. Kaliumiodid-Tabletten helfen nur in ganz bestimmten Fällen und dürfen auf keinen Fall ohne behördliche Anweisung eingenommen werden. Die Sirenensignale für den Zivilschutz sollten sowieso bekannt sein.

Ansonsten werden in einem solchen Fall alle wichtigen Informationen zum Schutz der Bevölkerung über den ORF (Radio und Fernsehen) kommuniziert. Besondere Vorsicht ist bei Meldungen über Soziale Medien und sonstigen Kanälen geboten, da sich hier leicht Falschmeldungen verbreiten lassen und zu einer unnötigen Verunsicherung führen können. Auch die generellen Medienmeldungen rund um Krisen sollten mit dem Hintergrundwissen konsumiert werden, dass diese Aufmerksamkeit generieren müssen und daher gerne etwas aufgebauscht werden.

Krisenfitness und eine gewisse Gelassenheit sind auch hier unverzichtbar. Wir können viele Dinge nicht verhindern, aber wir entscheiden selbst mit unserer Vorbereitung, wie schlimm sie uns treffen können. In vielen Fällen sind unsere (falschen) Reaktionen schädlicher als die Folgen des eigentlichen Ereignisses.

Daher: Packen wir es an und werden wir gemeinsam krisenfit!

– H.SAURUGG

Über den Autor

Herbert Saurugg ist internationaler Blackout- und Energiewende-Experte, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV) und Autor zahlreicher Fachpublikationen.

Seit Jahren beschäftigt er sich mit der steigenden Komplexität und Verwundbarkeit lebenswichtiger Infrastrukturen sowie mit den möglichen Lösungsansätzen, wie die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern wieder robuster gestaltet werden kann. Er betreibt dazu unter www.saurugg.net einen umfangreichen Fachblog und unterstützt Gemeinden und Organisationen bei der Blackout-Vorsorge.

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