European Union, 2014 / Source: EC-Audiovisual Service / Photo: Georges Boulougouris

Europa

31.08.2019

Präsident Juncker über Dinge, die zusammengehören

In der "Rede zur Lage der Union" zog Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Bilanz über die Erfolge der Kommission und legte ein Liste der noch zu erledigenden Initiativen vor. Daniela Fraiß, die Leiterin des Brüssel-Büros des Gemeindebundes, über die wichtigsten Punkte aus kommunaler Sicht.

Jean-Claude Juncker kennt das europäische Geschäft seit Jahrzehnten, als Luxemburger Finanz- und Premierminister wusste er die Vorteile des Binnenmarkts auch trefflich zu nutzen. Man nimmt es ihm also ab, wenn er von seiner Liebe zu Europa spricht und davor warnt, sich in Nationalismen zu verlieren. Europa und seine Mitgliedstaaten gehören zusammen, Hand in Hand kommen sie voran und können weltpolitisch mithalten. Patriotismus ist im Gegensatz zu Nationalismus für Juncker nicht negativ, es sei aber zu bedenken, dass Patriotismus im 21. Jahrhundert zwei Gesichter hat, ein nationales und ein europäisches.

Positive Bilanz

Juncker zieht eine insgesamt positive Bilanz der letzten Jahre: Griechenland wurde aus dem Rettungsschirm entlassen, der sogenannten Juncker-Fonds half beim Ankurbeln der Wirtschaft, die Beschäftigung ist im Aufwind und Europa trat bei den Verhandlungen zum Pariser Klimaschutzabkommen geeint auf und arbeitet nun an der Umsetzung seiner Verpflichtungen.

Im Bereich der Migrationspolitik, wo der EU immer wieder Untätigkeit vorgeworfen wird, erinnert Juncker daran, dass fünf von sieben Legislativvorschlägen zur Neuordnung des Asyl- und Migrationswesens bereits angenommen wurden und der Ball nun im Rat liegt. Die Mitgliedstaaten sind überdies dafür verantwortlich, den Schengenraum zu wahren. Dies gehe nicht ohne Solidarität untereinander. Solidarität ist übrigens ein wichtiges Schlagwort der Rede, sie wird nicht nur bei der Lösung der Migrationspolitik, sondern auch beim europäischen Katastrophenschutz bemüht, der letzten Sommer in Portugal und diesen Sommer in Schweden seine Daseinsberechtigung unter Beweis stellen konnte.

Ausblick

Juncker nimmt die Rede zur Lage der Union zum Anlass, eine Reihe neuer Vorschläge bzw. Ergänzungen zu bereits in Verhandlung befindlichen Vorschlägen anzukündigen.

Beispielhaft zu nennen sind die Neuordung der Zeitumstellung, der Ausbau der europäischen Asylagentur, Rückführung irregulär eingereister Migranten, die Entfernung terroristischer Propaganda aus dem Internet, die Kompetenzerweiterung der europäischen Staatsanwaltschaft sowie die umfangreichen Maßnahmen gegen Geldwäsche.

Europawahlen im Mai 2019

Die Kommission ist sich bewusst, dass ihr die Bürger kaum Verbesserungen der persönlichen Lebensverhältnisse zuschreiben. Im Hinblick auf die Wahlen im Mai 2019 sei es aber wichtig zu vermitteln, dass Europa in der Lage ist, große Probleme anzugehen und zu lösen. Juncker nennt hier die europaweite Digitalsteuer und die Plastikstrategie gegen die Verschmutzung der Meere und appelliert an den Gesetzgeber, diese Dossiers vor den Wahlen abzuschließen.

Juncker, selbst ehemaliger Spitzenkandidat, befürwortet das System europäischer Spitzenkandidaten und wünscht sich für die Wahlen im Jahr 2024 echte transeuropäische Listen.

Europa in der Welt

Juncker geht auf das als großen Erfolg titulierte Abkommen mit den USA ein und stellt nüchtern fest, dass Erfolge Europas dann garantiert seien, wenn man es schaffe, außenpolitisch mit einer Stimme zu sprechen. Diese Einigkeit der europäischen Staaten, die Notwendigkeit des Multilateralismus, beschwört er mehrmals.

Er fordert auch den Übergang zu qualifizierten Mehrheitsbeschlüssen in einigen Bereichen des Steuerrechts sowie der Außenpolitik (hier etwa Menschenrechte oder zivile Missionen). Das derzeitige Vetorecht auch nur eines EU-Mitglieds verhindert klare Aussagen der EU in wichtigen Fragen, beispielhaft führt Juncker die Verlängerung des Waffenembargos gegen Weißrussland oder Sanktionen gegen Venezuela an.

Schwarzer Peter

Juncker, der den schwarzen Peter im EU-Spiel nicht gerne in Händen der Kommission hält, wird die aktuell diskutierte Zeitumstellung dem EU-Gesetzgeber übertragen. Das bedeutet, EU-Parlament und die Mitgliedstaaten müssen ausgehend vom Kommissionsvorschlag eine binnenmarktkonforme Regel erarbeiten, die ab Herbst 2019 anzuwenden ist.

Der Teufel steckt allerdings im Detail, denn 27 unterschiedliche Lösungen sind im Binnenmarkt und im grenzüberschreitenden Verkehr tatsächlich undenkbar und nicht überall wird das Thema so emotional diskutiert wie in Österreich oder Deutschland. Man darf also auf die Diskussionen in Rat und Parlament gespannt sein.

Einschätzung

Juncker stellt die Lage der Union recht nüchtern dar und erinnert daran, dass die Mitgliedstaaten nur gemeinsam weiterkommen. Er nennt die Subsidiarität zwar nicht explizit, verweist aber doch darauf, dass sich Europa um die großen Anliegen kümmern soll und hat es sichtlich satt, für Zeitumstellung oder Olivenölkannen zur Verantwortung gezogen zu werden. Aus kommunaler Perspektive ist dieser Ansatz zu begrüßen, die neuen Vorschläge der Kommission unterstreichen diese Linie.

Die Herausforderung vor den Europawahlen besteht darin, den Sinn bestimmter Regelungen zu kommunizieren. Denn auch aus kommunaler Sicht ist anzumerken, dass man Vorschläge immer aus der nationalen Perspektive sieht und die gesamteuropäische Dimension ausblendet. Aber natürlich tragen einheitliche Regeln der Abfallbewirtschaftung zur Umsetzung der EU-Umwelt- und Klimaziele bei und selbst als unnötig empfundene Vorschläge wie das einheitliche digitale Zugangstor sind für Bürger und Unternehmen im Binnenmarkt wahrscheinlich eine sinnvolle Sache.

Wenn sich der Blick weitet und man sich vor Augen führt, dass das Ziel der EU nicht die Befriedigung der Interessen des einzelnen Mitgliedstaates, sondern das Wohlergehen aller ist, wird klar, dass ohne Solidarität und Kompromissfähigkeit keine Union zu machen ist. Die Vorbereitung des Brexit zeigt eindrucksvoll, wie stark Union und Mitgliedstaaten verbunden sind und dass auch eine frühere Großmacht heute welt- und handelspolitisch ein Zwerg ist.

Ob die Visionen Junckers zum richtigen Zeitpunkt kommen, bleibt fraglich. Die Wellenbewegung der „EU-phorie“ befindet sich gerade in der Talsenke, ein Übergang zu Mehrheitsentscheidungen im Steuerrecht und in der Außenpolitik scheint derzeit ebenso unwahrscheinlich wie transeuropäische Listen bei den Europawahlen.

Die EU arbeitet dennoch weiter. Vieles passiert unbemerkt, manches wird aufgebauscht, mitunter regiert Unverständnis. Juncker hat aber sicher Recht, wenn er den französischen Philosophen Blaise Pascal zitiert um zu veranschaulichen, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten letztlich zusammen gehören.

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