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Sicherheit

23.03.2022

Turbulente Zeiten erfordern krisenfitte Gemeinden

Vor wenigen Wochen waren noch viele Entscheidungsträger der Meinung, dass man in der jetzigen Coronakrise den Menschen kein weiteres Krisenszenario, wie etwa eine Blackout-Vorsorge, zumuten könne. Einwände, dass die nächste Krise nicht darauf Rücksicht nehmen wird, ob wir wieder dazu bereit sind, wurden gerne ignoriert. Leider hat uns nun die Realität eingeholt. Kaum jemand konnte sich vorstellen, dass es in Europa zu einem Krieg kommen könnte. Daher wurde wohl auch in der Politik und Diplomatie zu wenig unternommen, um das Risiko zu senken. Ein fataler Irrtum, der inzwischen eine Vielzahl an Folgekrisen losgetreten hat, die uns noch in den nächsten Monaten und Jahren sehr intensiv beschäftigen werden. Es ist daher höchste Zeit, Prioritäten zu ändern und sich auf eine turbulente Zeit einzustellen, krisenfit zu werden.

Vorsicht ist besser als Nachsicht

Viele Menschen haben das Gefühl, dass die Coronakrise vorbei sein müsse, da die meisten Maßnahmen zurückgefahren werden bzw. sich inzwischen die öffentliche Aufmerksamkeit um den Ukrainekrieg dreht. Wir sollten dieses Thema jedoch nicht zu früh abhaken, da es noch einige Unsicherheiten über den möglichen weiteren Verlauf gibt. Vor allem, was den nächsten Winter betrifft. Aber auch die wirtschaftlichen Folgen beginnen erst sichtbar zu werden. Diese, und die damit verbundenen sozialen Probleme werden sich auch auf die Gemeindearbeit auswirken. Hier sollte die Frage gestellt werden, welche Maßnahmen bereits jetzt vorbereitet oder getroffen werden können, um diese Folgen abzufedern. Insbesondere, da das Problem auch noch durch weitere Entwicklungen verschärft wird: etwa durch die sehr hohen Treibstoff-, Strom- oder Gaspreise. Diese kommen größtenteils erst verzögert bei den Kund:innen an, führen aber zu erheblichen Belastungen. Hinzu kommt, dass sich die hohen Energiekosten verzögert auch auf alle Produktpreise auswirken werden. Das betrifft auch aktuell viele Rohstoffe, die wir etwa für die Energiewende benötigen, womit auch diese Fahrpläne in der Luft hängen. Dadurch steigt auch die Inflation, womit auch der Handlungsspielraum in den Gemeinden deutlich sinken wird. Ein Rückgang ist derzeit nicht absehbar.

Regionale Grundversorgung stärken

Die hohen Energie- und Düngemittelpreise werden sich ebenfalls auf die landwirtschaftliche Produktion auswirken, was wiederum die Preise bei den Produkten antreibt. Auch hier wirkt der Krieg in der Ukraine verstärkend, da beide Länder einen wichtigen Beitrag bei der globalen Lebensmittelversorgung leisten. Fallen diese aus oder stehen die Rohstoffe und Produkte aus diesen Ländern nur mehr eingeschränkt zur Verfügung, wird das in vielen Regionen und vorrangig im Nahen Osten zu absehbaren Versorgungsproblemen und damit zu möglichen sozialen Unruhen führen. Mit all den damit verbundenen Folgen, die dann verzögert auftreten werden. Daher ist auch hier nicht mit einer raschen Beruhigung der Lage zu rechnen.

Aufgrund der zu erwartenden Verknappungen am globalen Lebensmittelmarkt entsteht eine große Chance für die kleinteilige österreichische Landwirtschaft. Sie kann und muss hier einen wichtigen Beitrag zur regionalen Grundversorgung leisten. Die beste Krisenvorsorge. Daher sollten Gemeinden ein Auge darauf werfen, dass wieder eine regionale Grundversorgung aufgebaut wird.

Wir können die vielen Turbulenzen nun als Bedrohung sehen, was stimmt, aber nichts daran ändern wird. In Zeiten von größeren Turbulenzen kommt es auf die Stabilität in kleinen Strukturen an, wie etwa in den Gemeinden und Regionen, was aber eine Strukturanpassung erforderlich machen wird. Es wird nicht auf Dauer gehen, dass Mitarbeiter:innen permanent Zusatzbelastungen übernehmen.

Resilienz braucht auch Flexibilität

Es wird daher auch notwendig sein, Priorisierung vorzunehmen, welche Aufgaben jetzt und in nächster Zukunft wichtig sind und welche wir vielleicht zurückstellen oder überhaupt aufgeben können. Eine erfolgreiche Anpassung in Krisenzeiten („Resilienz“) gelingt nur, wenn man auch Altes und Bewährtes loslassen kann. Ansonst werden nicht genug Ressourcen zur Verfügung stehen und es droht ein Scheitern. Daher müssen wir auch eingefahrene Prozesse auf ihre aktuelle Effektivität überprüfen. Es geht nicht nur darum, die Dinge richtig und effizient zu machen, sondern die richtigen Dinge zu tun („Effektivität“). Diese werden sich in Krisenzeiten nicht immer mit jenen aus stabilen Zeiten, wie wir sie jetzt über Jahrzehnte hatten, decken. Ein wesentliches Ziel sollt etwa die Energiebedarfssenkung sein. Einerseits, um die Abhängigkeiten zu reduzieren und ande-rerseits, um den gesetzten Zielen des Klimaschutzes näherzukommen. Dazu gehört auch die Frage, wie wir mit generell weni-ger ein besseres und zufriedeneres Leben führen können. Denn ohne Reduktion werden wir aus diesen Krisen nicht heraus-kommen.

Verwaltungsvereinfachung notwendig

Hierzu wird wohl auch eine Verwaltungsvereinfachung notwendig werden. Zum Teil kann das durch eine rasche Digitalisierung von Prozessen erfolgen. Und wir benötigen jetzt besonders Gestalter:innen, die nicht an der Weltlage verzweifeln und alten Strukturen festhalten, sondern wichtige und dringende Dinge anpacken und weitreichende Entscheidungen für die Zukunft treffen. Besonders wichtig ist dabei die Verhinderung von kurzsichtigem Aktionismus. Sogenannte „Quick and Dirty-Lösungen“ konzentrieren sich auf Symptome und lassen sich sofort umsetzen, während fundamentale Lösungen die Ursache des Prob-lems zu beseitigen versuchen. QaD-Lösungen sind meist schnell angewandt, verschlimmern aber in der Regel langfristig das eigentliche Problem, während man für fundamentale Lösungen oft kurzfristig deutliche Nachteile in Kauf nehmen muss und sich diese erst langfristig als vorteilhaft herausstellen. Gerade in unübersichtlichen Zeiten sollte die Geschwindigkeit reduziert und nicht erhöht werden. Das betrifft uns alle.

Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen. Viele Krisenpotenziale zeichnen sich bereits ab, wie oben dargestellt. Andere werden wiederum überraschend auftreten. Wir sollten daher die Zeit nutzen, um bestmöglich vor die Lage zu kom-men. Daher sind nun vernetzt denkende Menschen und Generalisten gefragt, die versuchen, Zusammenhänge zu erkennen und diese bestmöglich für die Weiterentwicklung nutzen. Wir können aus der Geschichte eine gewisse Zuversicht ableiten, da es noch nach jeder turbulenten Zeit wieder besser und stabiler weitergegangen ist. Jetzt müssen wir aber einmal in den sau-ren Apfel beißen.

Der erste Schritt beginnt mit der Akzeptanz der Situation, wie sie ist. Ein Zurück zur vor Coronazeiten wird es nicht geben. Entscheidend ist, dass wir eine Grundversorgungssicherheit herstellen und uns auf größere Einschnitte einstellen.

Packen wir es an und werden wir gemeinsam krisenfit!

– H.SAURUGG

Über den Autor

Herbert Saurugg ist internationaler Blackout- und Energiewende-Experte, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV) und Autor zahlreicher Fachpublikationen.

Seit Jahren beschäftigt er sich mit der steigenden Komplexität und Verwundbarkeit lebenswichtiger Infrastrukturen sowie mit den möglichen Lösungsansätzen, wie die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern wieder robuster gestaltet werden kann. Er betreibt dazu unter www.saurugg.net einen umfangreichen Fachblog und unterstützt Gemeinden und Organisationen bei der Blackout-Vorsorge.

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