Gemeinde Illingen

Soziales

02.03.2022

Gelungene Bürgerbeteiligung: Beispiele aus Österreich und Deutschland

Wohnen in der Ortsmitte

Bad Feilnbach, Oberbayern

In Bad Feilnbach in Oberbayern soll auf einer zentralen Fläche in der Ortsmitte „Wohnen und Leben“ entstehen. Erworben hat das 5.000 m2 große Grundstück ein Projektentwickler aus der Region, um dort Wohnen und Leben, Versorgen und Freiraum zu verwirklichen, lebendig und mit Qualität – und vor allem bedarfsgerecht. Dafür setzten Gemeinde und Projektentwickler von Anfang an auf die Beteiligung der Bürgerschaft.

Unter fachkundiger Begleitung von Partizipationsexperten fand diese offen für den ganzen Ort in zwei Schritten statt: eine eineinhalbtägige Ideenwerkstatt und eine halbtägige Planungswerkstatt. Auf Grundlage der Ergebnisse dieser beiden Werkstätten arbeitete im Anschluss ein Architekturbüro den städtebaulichen Entwurf für das Grundstück aus.

Immer mit dabei waren der Projektentwickler, der Bürgermeister, Vertreter des Gemeinderats und die Architekten. So war sichergestellt, dass der Bedarf und die Vorstellungen aus der Bürgerschaft auch direkt bei denen ankommen, die letztendlich planen und entscheiden.

Baugemeinschaft als Quartiersentwicklung

Pressbaum, Niederösterreich

Einer Gruppe von engagierten Menschen wurde es ermöglicht, in Pressbaum, 20 Kilometer westlich von Wien, auf dem Pfarrgrund bedarfsgerechten und maßgeschneiderten Wohnraum zu schaffen. Auf einem Grundstück von rund 14.000 m2 wurden zehn zwei- und dreigeschoßige Wohnhäuser und ein Gemeinschaftshaus errichtet, die sich in zwei Reihen entlang der Hangneigung um einen zentralen Dorfplatz gruppieren.

Von Planungsbeginn an ein großes Anliegen war der Baugruppe, zehn Prozent der Gesamtwohnfläche für gemeinschaftliche Nutzung zu widmen. Entstanden ist ein Gemeinschaftshaus mit Veranstaltungsraum, Gemeinschaftsküche, Aufenthaltsräumen und Gästewohnung sowie ein großer gemeinsamer Garten statt vieler kleiner, privater Gärten.

Etwa hundert Personen sind im Frühjahr 2018 nach Pressbaum gezogen: junge Familien, Paare und Singles unterschiedlichen Alters. Eine Wohneinheit wurde für eine Flüchtlingsfamilie freigehalten und finanziert. Dank vielfältiger Unterstützung und einer erfolgreichen Crowd­funding-Kampagne hat eine geflüchtete Familie die Möglichkeit erhalten, in der neuen Heimat stabile Wurzeln zu schlagen.

Leer stehende Wurstfabrik wird urbaner Lebensraum

Illingen, Saarland

Die Gemeinde Illingen im Saarland mit rund 16.000 Einwohnern kümmert sich schon länger um ein aktives Leerflächenmanagement und besetzt hier die überregionale Pionierrolle. Mit mutigen Kampagnen („Bin zu haben“ oder „Ich bin als nächstes dran“) konnte eine Sensibilisierung in den Köpfen der Bevölkerung erreicht werden. Auch der Kampf gegen die Errichtung eines großen Einkaufszentrums auf der grünen Wiese wurde durch intensiven Einsatz der politisch Verantwortlichen vorbildhaft abgewendet.

Der größte Knackpunkt war aber über viele Jahre das Projekt rund um das leer stehende Fabriksgelände einer ehemaligen Wurstfabrik, das sogenannte Höll-Areal. Seit dem Jahr 2001 stand das über 40.000 m² große, inmitten der Ortsmitte und direkt an den Marktplatz anschließend gelegene Verwaltungs- und Produktionsgebäude leer.

Nach mehr als zwölf Jahren Stillstand nahm die Kommune die Zügel in die Hand und ging mit einem sehr breit angelegten Bürgerbeteiligungsprozess mutig in Vorleistung. In einem wahren Ideenfestival mit sehr hoher Beteiligung entwickelten Bürgerinnen und Bürger mit der nonconform ideenwerkstatt neue Nutzungskonzepte und Gestaltungsvorschläge für die Zukunft der Ortszentrums mit Schwerpunkt auf Nach- und Umnutzung der alten Fabrik.

Ein gemeinsames großes Ziel wurde schließlich zum Motor für Entwicklung und Umsetzung. Eine Mischung aus privaten, institutionellen und öffentlichen Bauherren investierte rund 40 Millionen Euro und ist derzeit dabei, die Vision Realität werden zu lassen. Die ersten Projektteile werden 2019 fertiggestellt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Das Gesicht der Illinger Ortsmitte verändert sich derzeit von Tag zu Tag. Teile der alten Industriekultur werden neu genutzt, einige Ruinen des Höll-Geländes sind verschwunden und erste sichtbare neue Räume sind begehbar. Ein attraktives neues Zentrum entsteht: Wohnen, Einkaufen, Arztbesuche, Kneipe, Essen und Trinken – alles auf kurzem Weg mitten im Zentrum und über Treppe und Aufzug geht’s zu Bahn und Bus. Es ist ein innovatives Generationen-Konzept und ein Magnet für das ganze Illtal.

Gibt es ein Rezept für gelungene Bürgerbeteiligung?

Im Wesentlichen sind es sieben Bausteine, die Beteiligung gelingen lassen, die Menschen dort abholen, wo sie stehen und einbinden mit dem, was sie mitbringen. Grundvoraussetzungen sind eine kluge Unterscheidung und klare Kommunikation von Ergebnisoffenheit und Rahmenbedingungen: Wo ist Gestaltungsspielraum, der ernsthaft eingeräumt werden kann? Was ist der Rahmen? Wo braucht es vorab Entscheidungen?

  • Die Aufgabe schärfen: Präzise Abstimmung. Es braucht von Beginn an Klarheit über Zielgruppen und Akteure, über Aufgaben und Fragestellungen, über Zuständigkeiten, Abläufe und Regeln. Diese Arbeit vor der eigentlichen Arbeit ist der Humus für gelungene Beteiligungsarbeit.
  • Auf die Haltung kommt es an: Ernsthaftigkeit, Wertschätzung und echtes Interesse am gemeinsamen Ergebnis. „Wir wollen gemeinsam etwas bewegen.“ Die Werte und Sichtweisen der anderen sind genauso berechtigt wie die eigenen, gegenseitiges Zuhören gehört zum 1 x 1 der Beteiligung. Der Weg ist Teil des Ziels und fördert Verständnis und Vertrauen.
  • Um Emotionen und Beziehungen kümmern: Mit Begeisterung ans Werk statt mit Angst. Eine Atmosphäre für ein positives Miteinander schaffen, das löst viele Konfrontationen von Beginn an. Konflikte als Chance begreifen, Mut beim Umgang mit Wut, Verzicht und Scheitern. Konsens herstellen ist eine Leistung – feiern wir die Ergebnisse!
  • Die Zeit im Blick haben: Zeit und Geduld investieren. Den richtigen, möglichst frühen Zeitpunkt finden. Schlüssige und transparente Zeitabläufe festlegen. Kurze, kompakte Formate finden und unterschiedlich zeitintensive Formen anbieten.
  • Die richtigen Formate benutzen: Weg von der Turnhallenschlacht, vom „Wir da vorne, ihr da unten“. Dorthin gehen, wo die Menschen sind. Neue Räume nutzen, spannende Methoden, die auch Spaß machen dürfen. Zeichnen und bauen, essen und trinken und dabei gemeinsam in die Aufgabe eintauchen.
  • Informiertheit sicherstellen: Ein einheitlicher Informationsstand ist Basis für den konstruktiven gemeinsamen Diskurs. Sonst beruht das Ergebnis mehr auf Zufall und Partikularinteressen als auf einem ernsthaften Aushandlungsprozess. Alle Perspektiven und Bedürfnisse, Inhalte und Hintergründe müssen offen und gut verständlich auf den Tisch.
  • Die richtige Sprache sprechen: Es braucht Profis, die die Werkzeuge kennen, Beteiligungsprozesse strategisch planen und professionell aufziehen – wie das Bauprojekt selbst. „Keep it simple“, aber professionell: Den Prozess gut erklären und auffällig und lautstark vermarkten.

-R. GRUBER

Zum Autor

Roland Gruber ist Mitgründer und Geschäftsführer von nonconform, einem Unternehmen für Architektur und partizipative Zukunftsraum­entwicklung, sowie Vizebürgermeister der Gemeinde Moosburg.

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