Doris Schwarz-König

Bundesländer

Panorama

25.03.2020

Die tapferen Bürger von Scheibbs

Ein Wassermann mit einer Scheibe, die Türken, waffengewandte Bürger oder ein gräflicher Dienstmann – sie alle könnten dafür verantwortlich sein, dass Scheibbs heute Scheibbs heißt. Die niederösterreichische Stadt im Mostviertel hat eine turbulente Vergangenheit hinter sich. Aber wer ist der nackte Mann im Stadtwappen?

Mitten im niederösterreichischen Mostviertel, eingebettet in das mittlere Erlauftal, liegt die Stadtgemeinde Scheibbs. Die 4.138-Einwohner-Gemeinde ist gleichzeitig Bezirkshauptstadt des gleichnamigen Bezirks und hat ihren Bewohnern einiges zu bieten, angefangen von einem breiten medizinischen Angebot bis hin zu einer köstlichen lokalen Spezialität.

Malerische Stadt aus dem Mittelalter

Spaziert man durch Scheibbs, könnte man meinen, man findet sich in einem altmodischen Heimatfilm wieder. Verwinkelte Gassen, mittelalterliche Bürgerhäuser und mächtige Stadtmauern zeugen von einer wohlhabenden Vergangenheit. Inmitten des Ortskerns steht am Rathausplatz das romantische Schloss Scheibbs, früher Verwaltungssitz des Kartäuserklosters Gaming. Heute beheimatet es die Bezirkshauptmannschaft Scheibbs.

Im Stadtzentrum verfolgt einen vor allem ein Motiv: Die schon im Ortsnamen angedachte Scheibe findet sich gleich mehrmals im Stadtwappen wieder. Darauf zu sehen ist ein Schild, der in der Mitte in eine schwarze und eine weiße Hälfte geteilt ist. Vor dem Hintergrund befinden sich drei runde Scheiben. Eine Keramik-Version des Wappens prangt über dem Eingang zum Rathaus. In dieser Version steht über dem Schild ein „wild“ aussehender Mann mit nacktem Oberkörper, der in der Hand eine weitere Scheibe hält.

Woher kommen nur diese Scheiben?

Das Mysterium rund um die Scheiben lässt sich mit einem Blick in die Vergangenheit lösen: Im Jahr 1529 bewiesen die Scheibbser Bürger bei den Türkenangriffen ihre Fertigkeit im Waffengebrauch und konnten sich erfolgreich gegen die Osmanen verteidigen. Heute zeugt das Schützenscheibenmuseum von dem ruhmreichen Ereignis.

Das Stadtwappen bekamen die Scheibbser 1537 für ihren tapferen Widerstand gegen die Türken von König Ferdinand dem Ersten verliehen. Somit ist auch ein Teil des Rätsels gelöst: Bei den mysteriösen Scheiben handelt es sich also um Schützenscheiben. Aber wer ist dieser „wilde Mann“?

Wassermann als Namensgeber – Legende oder Wahrheit?

Um das herauszufinden, muss man sich die Namensherkunft der Stadt ansehen: Will man einer Legende Glauben schenken, so hieß Scheibbs einst „Unterdenbergen“ und erhielt seinen heutigen Namen durch einen außergewöhnlichen Vorfall: Einst hielten die Bewohner wie jedes Jahr ein fröhliches Volksfest ab, auf dem geschmaust, getrunken, getanzt und musiziert wurde. Auf dieses Fest wurde auch der alte Wassermann, der unter den felsigen Ufern der Erlauf lebte, aufmerksam. Er war neugierig, wie das Menschenvolk wohl feierte und beschloss, sich das aus der Nähe anzusehen. Dabei nahm er das Geschenk einer Donaunixe, eine blanke Silberscheibe, mit.

Aus einem Versteck heraus beobachtete der Wassermann die Menschen eine Weile bei ihren Festigkeiten und stellte fest, dass die Menschen keine so feine, glatte Scheibe hatten wie er. Also beschloss er, den Bewohnern diese Scheibe zu schenken. Er trat aus seinem Versteck hervor, warf seine Scheibe wie beim Kegelspiel mit Schwung den Leuten zu und rief dabei laut: „Scheibts!“ Daraufhin verschwand der Wassermann wieder. Der Legende nach nannte man den Ort ab diesem Zeitpunkt nicht mehr Unterdenbergen, sondern Scheibbs.

Der einflussreiche Dienstmann

Dass es tatsächlich ein Wassermann war, der der Mostviertler Gemeinde zu ihrem Namen verhalf, mag bezweifelt werden. Der Mann über dem Stadtwappen könnte genauso gut den angeblichen Gründer von Scheibbs, Graf Konrad von Peilstein, darstellen. Dieser soll im zwölften Jahrhundert als Verwaltungssitz seiner Herrschaft das ursprüngliche Schloss Scheibbs gegründet haben. Interessanterweise taucht in der ersten urkundlichen Erwähnung von Scheibbs im Jahr 1160 als Zeuge ein gewisser Otto de Schibis auf. Er war ein Dienstmann des Grafen von Peilstein und als Verwalter im Schloss tätig. Ob er wohl der wahre Namensgeber von Scheibbs ist?

Die allerwahrscheinlichste Theorie zur Namensentstehung geht auf slawische Ursprünge zurück. Mit der Völkerwanderung um 568 siedelten sich die Slawen in der Region um das heutige Scheibbs an und nannten die damalige Ansiedlung „Ščipéčje“, was übersetzt „wildwachsende Heckenrose“ bedeutet. Mit dem Erlöschen der slawischen Dialekte wurde daraus später Scheibbs. Übrigens: Der nackte Mann über dem Wappen ist vermutlich ein einfacher Schildhalter, der häufig in Verbindung mit Wappenkunst vorkommt.

Hochburg des Eisenhandels

Im Laufe der Geschichte schien Scheibbs fast durchgehend als einflussreiche Stadt in der Region auf. In den Jahrhunderten nach der Stadterhebung durch Herzog Albrecht im Jahr 1352 entwickelte sich Scheibbs zu einer Hochburg des Eisenhandels und Provianttransports. Seit 1850 ist Scheibbs Bezirkshauptstadt.

Heute besticht die Stadt auch abgesehen von den dort ansässigen Ämtern und Behörden als wichtiges Zentrum: Mit dem Landesklinikum und zahlreichen medizinischen Einrichtungen trägt Scheibbs den Titel als Gesundheitshauptstadt des Ötscherlands. Das breite Angebot in den Bereichen Bildung, Kultur und Sport macht Scheibbs zu einem attraktiven Standort für Bewohner und Pendler.

Scheibbser Spezialität: Ausnahmsweise keine Scheiben

Eine kleine, feine Besonderheit der Mostviertler Gemeinde bildet die Scheibbserkugel: Diese kulinarische Spezialität aus Haselnussmakronen, Nougatbutterfülle, Marzipan und Schokoladenglasur wird seit 1888 nach einem Geheimrezept in einer Scheibbser Konditorei produziert. Die Herstellung ist sehr aufwendig und dauert zwei Tage – dafür schmecken die süßen Kugeln auch so gut.

-E. SCHUBERT

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