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Recht

21.10.2020

Baumhaftung belastet die Gemeinden

Sowohl kommunale als auch private Verantwortungsträger sind in ihrer Tätigkeit ständig mit Haftungsfolgen durch die weitreichenden Verkehrssicherungspflichten, die die österreichische Rechtsordnung kennt, konfrontiert.

Unfälle rücken Sicherheit von Bäumen in den Vordergrund

Bei Unglücken beginnt rasch die Suche nach Verantwortlichen. ©Kathrin Brechbühler/pixelio.de

Der Grundgedanke, dass jeder, der eine Gefahrenquelle eröffnet und bestehen lässt, Sorge dafür zu tragen hat, dass sich mit dieser typischerweise in Verbindung stehende Schadenseintritte nicht verwirklichen, erscheint schlüssig und nachvollziehbar. Der Gesetzgeber sieht von Bäumen allem Anschein nach keine besondere Gefahr ausgehen, weshalb er für diese keine spezielle Verkehrssicherungspflicht normiert hat. Leider kommt es aber immer wieder durch umstürzende Bäume oder von diesen herabfallende Äste zu tragischen Unfällen, die auch medial viel Beachtung finden.

Erst unlängst kam es zu einem schweren Unfall, als eine durch Sturm abgebrochene Eiche auf einen Kleinbus fiel und dabei drei Menschen zu Tode kamen und vier weitere verletzt wurden. Dies führt verständlicherweise zu einer vermehrten Auseinandersetzung mit der Sicherheit von Bäumen und weckt das Bedürfnis, solche Tragödien in Zukunft zu vermeiden.

Selber Haftungsmaßstab für Bäume wie für Gebäude

Gleichzeitig beginnt damit auch immer die Suche nach einem Verantwortlichen, um die „Gefahrenquelle Baum“ zu kontrollieren. Sogar der amerikanische Präsident sieht von europäischen „explosiven“ Bäumen eine große Gefahr ausgehen. Die österreichische Rechtsprechung wendet auf Bäume denselben strengen Haftungsmaßstab an, der in §1319 ABGB für Gebäude und andere von Menschen geschaffene Werke normiert wird. Dies wird zwar nicht mit der besonderen „Explosivität“ oder Gefährlichkeit unserer Bäume begründet, sondern mit der mangelnden Beschaffenheit des Baums, der durch seinen mangelhaften Zustand eine besondere Gefahr darstellt.

Bäume und Bauwerke unterscheiden sich jedoch in vielen Punkten. Ein Baum wird (im Regelfall) von niemandem errichtet. Es handelt sich um natürlich gewachsene Strukturen, viele Baumbestände sind darüber hinaus sehr alt. Wer ein Gebäude errichtet, tut dies im Regelfall aus persönlichem Interesse und kann einen dementsprechenden Nutzen daraus ziehen. Bäume und andere Gewächse im öffentlichen Raum erhöhen die Lebensqualität aller und haben einen positiven Einfluss auf das Klima, dabei nutzen sie dem Eigentümer – insbesondere dann, wenn sie auf öffentlichem Grund stehen – nicht mehr als der Allgemeinheit.

Explizite Regelung fehlt

Die Haftung für Bäume ist im ABGB nicht explizit geregelt, was zwei Schlüsse zulässt:

  • Entweder der Gesetzgeber hat vergessen, eine entsprechende Regelung zu finden, weshalb eine Lücke vorliegt, die durch eine analoge Anwendung der Bestimmungen des §1319 geschlossen wird.
  • Oder der Gesetzgeber wollte keine explizite Haftung für Bäume und andere natürlich gewachsene Objekte normieren, da er diese Fälle durch die anderen bereits bestehenden Verkehrssicherungspflichten und das allgemeine Schadenersatzrecht als ausreichend abgedeckt sah.

Insbesondere jene Bäume, die an Wegen stehen, wären etwa von der Wegehalterhaftung mitumfasst, was eine deutliche Haftungserleichterung für den „Baumhalter“ bedeuten würde.

Es ist daher alles andere als unumgänglich, die bewusst strengen Haftungsmaßstäbe der Gebäudehalterhaftung analog auf Bäume anzuwenden. Es handelt sich dabei aber um gesicherte höchstgerichtliche Rechtsprechung, was zu akzeptieren ist und gegebenenfalls durch eine legistische Überarbeitung des §1319 zu ändern wäre.

„Bei ÖNORMEN handelt es sich um die Abbildung eines ,Idealszenarios‘, das sich Industrie und Unternehmer wünschen. Es ist unverständlich, wieso die Judikatur diese als Sorgfaltsmaßstab heranzieht.“

Zusätzlich zur analogen Anwendung des §1319 zieht die Judikatur in der Feststellung des vom Baumhalter zu erfüllenden Sorgfaltsmaßstabs entsprechende facheinschlägige Normen heran, die einer breiteren Öffentlichkeit nicht bekannt sind. Es wird vorausgesetzt, dass jeder Baumeigentümer entweder die in der Ö-Norm L 1122 vorgesehenen regelmäßigen Kontrollintervalle und Prüfvorgänge kennt oder dass diese Norm den allgemeinen von Eigentümern und Baumhaltern an den Tag gelegten Sorgfaltsmaßstab beschreibt. Weder das eine noch das andere trifft jedoch zu. Es handelt sich bei dieser, wie bei vielen anderen ÖNORMEN um die Abbildung eines „Idealszenarios“, das sich Industrie und Unternehmer wünschen.

Um einer Haftung zu entgehen, müssten Bäume regelmäßig genauestens dokumentiert und kontrolliert werden. Ein nicht verhältnismäßiger Aufwand für Gemeinden. ©s.media/pixelio.de

Es ist unverständlich, wieso die Judikatur solche Szenarios als Sorgfaltsmaßstab heranzieht. Dazu kommt noch, dass der Eigentümer eines Baums beweisen können muss, „dass er alle Vorkehrungen getroffen hat, die vernünftigerweise nach den Umständen von ihm erwartet werden können“, um einer Haftung zu entgehen. Und zwar für jeden Baum einzeln, in Form einer Dokumentation der fachgerechten Überprüfung.

Doch was bedeutet dies nun konkret für die kommunalen Entscheidungsträger? Was müssen Gemeinden in Bezug auf ihren Baumbestand unternehmen, um einer Haftung zu entgehen?

Welche Maßnahmen konkret als zumutbare und geeignete Vorkehrungen gegen den Schadenseintritt angesehen werden, kann leider nicht pauschal gesagt werden. Dies bestimmt sich wie so oft nach den Umständen des konkreten Einzelfalls. Diese Antwort ist natürlich unbefriedigend. Um im Zweifelsfall einer Haftung zu entgehen, ist man geneigt, sich an besonders strengen Urteilen zu orientieren oder sich kostenpflichtig Zugang zu den relevanten Normen zu besorgen.

Gemeinde musste trotz Auslagerung an Experten haften

Als eindrucksvolles Beispiel dient der Fall einer Gemeinde, die die Betreuung einer Pappel mit einem Alter von 60 bis 80 Jahren übernommen hat, die im Bereich einer rege frequentierten Verkehrsfläche stand. Die Pappel stürzte um und es kam zu einem Sach- und Personenschaden. In diesem Fall zog das Gericht die Ö-Norm L 1122 heran, die nach Punkt 5.1 den Stand der Technik repräsentieren sollte. Dort wird für solche Bäume eine regelmäßige Sichtkontrolle vorgeschrieben. Im konkreten Fall wurde vom Gericht nur ein mindestens sechsmonatiges Kontrollintervall als ausreichend angesehen.

Schlägern oder haften?

Des Weiteren hat eine vorschriftsmäßige Kontrolle („lege artis“) in Form einer Sichtkontrolle im Abstand von 1 bis 1,5 m vom Baum zu erfolgen, die auch dementsprechend dokumentiert werden muss. Erfolgt die Kontrolle aus weiterer Distanz, etwa zwei Meter, oder wird diese nicht dokumentiert, erfüllt der Eigentümer seine Verkehrssicherungspflicht nicht, beziehungsweise kann er sie nicht beweisen, was in einem Verfahren gleichbedeutend ist.

Aus Angst vor Haftungsfallen werden Bäume häufig ohne direkte Gefahr gefällt. ©Karl-Heinz-Laube/pixelio.

Dass die im konkreten Fall beklagte Stadtgemeinde die Errichtung eines Baumkatasters an ein fachkundiges Unternehmen übertragen hatte, half ihr nicht, da nicht alle Bäume der Beklagten ein einziges Mal besichtigt und in den Kataster eingetragen waren, geschweige denn ihrem Alter und Zustand entsprechend regelmäßig kontrolliert wurden. Die Gemeinde muss sich im Schadensfall freibeweisen. Kann sie eine normgerechte Überprüfung eines schadhaften Baums nicht nachweisen, haftet sie.

Gemeinden stehen nun vor dem Dilemma, was sie in Bezug auf ihren Baumbestand unternehmen sollen. Das Fällen alter Bäume in einem 25-Meter-Korridor rund um frequentierte Allgemeinflächen würde zu Recht einen Aufschrei der lokalen Bevölkerung verursachen und wäre auch aus Sicht des Klimaschutzes nicht zu rechtfertigen. Gerade in kleinen Gemeinden mit großem Baumbestand ist eine regelmäßige, fachmännische Überprüfung und Dokumentation aller Bäume jedoch ein unverhältnismäßiger Aufwand, der finanziell kaum zu rechtfertigen wäre.

Lösung steht noch aus

Eine Erleichterung gibt es zumindest für Waldbestände. Der Halter eines Baumes kann sich in manchen Fällen auf die Haftungsbeschränkung des § 176 Abs 4 Forstgesetz berufen. Doch auch in diesem Fall trifft ihn die Behauptungslast, er muss nachweisen, dass es sich bei dem Grundstück um Wald iSd ForstG handelt. In diesem Fall haftet der Eigentümer keinesfalls strenger als nach der Wegehalterhaftung, wenn der Schaden durch Bäume des umliegenden Waldes verursacht wurde. Das oben beschriebene Dilemma lässt sich wohl nur durch den Gesetzgeber befriedigend lösen.

-T. PÖCHACKER

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